J. S. Bach - Orgelwerke

J.S. Bach - Orgelwerke J.S. Bach Orgelwerke
(BWV 543, 596, 548, 529, 622, 582)

Mana Usui musiziert an der Orgel der evangelischen Stadtkirche in Grebenstein, Hessen.



Track-Liste:

Johann Sebastian Bach (1685-1750)
1. Präludium und Fuge a-moll BWV 543
2. Präludium
3. Fuge

Concerto nach Vivaldi d-moll BWV 596 4. (Allegro) - Grave - Fuga
5. Largo e spiccato
6. (Allegro)
7. Präludium und Fuge e-moll BWV 548
8. Präludium
9. Fuge

Triosonate C-Dur BWV 529 10. Allegro
11. Largo
12. Allegro
13. "O Mensch, bewein' dein' Sünde groß" BWV 622
14.Passacaglia c-moll BWV 582
(1) Passacaglia (2) Fuge

Mana Usui


Orgel der evangelischen Stadtkirche in Grebenstein

Aufnahme: Oktober 1996
Assistentin: Sabine Leutiger-Vogel
Tonmeister: Klaus-Wilhelm Beckel
Gestaltung: atelier grotesk

Orgelwerke von Johann Sebastian Bach

Bachs Orgelwerke bedeuten innerhalb der Geschichte der Orgelmusik den absoluten Höhepunkt; in diesem Urteil stimmen alle Organistinnen und Organisten ohne Ausnahme überein. Dies ist umso erstaunlicher, als Bach gerade nicht - wie zum Beispiel die französischen Meister oder seine norddeutschen Vorbilder - die spezifischen Klangfarben der Orgelregister für seine Zwecke ausnützt; er besitzt auch nicht den instinktsicheren Sinn eines César Franck für den effektvollen Orgel-klang. Vielmehr strebt Bach auch in seiner Orgelmusik nach einer Vergeistigung der musikalischen Aussage. Dabei enthüllt er - erstmals in der Musikgeschichte - eine andere Seite des Orgeltons: den ausgeprägt entmaterialisierten Klang. Die Orgelpfeife ist ihrem Bau nach zwar eine Blockflöte, doch läßt sie das Naturhaft-Sinnliche dieses Instrumentes hinter sich und weist in einen überpersönlichen, objektiven Bereich, den Bach erstmals und als einziger betreten hat. Davon legt auch die vorliegende Aufnahme Bachscher Orgelwerke ein schönes Zeugnis ab.
Das Präludium mit Fuge a-moll BWV 543 stammt aus der Zeit, da Bach am Hof in Köthen wirkte (1717-1723) und zeigt ihn auf einer ersten Höhe seiner Meisterschaft. Das improvisatorisch klingende Präludium sowie der spielerische Fugenschluß zeigen nur noch äußerlich den Einfluß der norddeutschen Orgeltradition; in seiner kühnen und leidenschaftlichen Sprache geht Bach weit über seine Vorgänger hinaus. Am Anfang des Präludiums legt Bach über 23 Takte hinweg in eine einzige Linie eine ungeheure Spannung und Steigerung, so daß der anschließende Doppeltriller und das folgende Pedalsolo wie eine Erlösung wirken. Entscheidend ist, daß das musikalische Material ganz aus dem Intervall der Sekunde heraus entwickelt wird. Der Mittelteil des Präludiums hat mehr episodischen Charakter, der Schluß zeigt aber wieder die starke Spannung des Anfangs. In der Fuge löst sich diese Spannung in eine stetige Bewegung, die sich aber nie verflüchtigt; das Fugenthema selbst geht in seinem Verlauf von der harten Sekunde zur milderen Septime über und bleibt jedem Hörer beim erstmaligen Erklingen unauslöschlich im Gedächtnis haften. Der Mittelteil der Fuge hat ebenfalls mehr episodischen Charakter, der Schluß führt aber wieder zur leidenschaftlichen Sprache des Präludiums zurück. In einer Stauung über dem Dominantseptimenakkord scheint alles zusammenzustürzen; die letzten Spielfiguren sind nur noch hilfloses Gestammel, bis die Akkordschläge des Schlusses das Stück rasch abschließen und den Zuhörer in einer großen Erschütterung zurücklassen. Mit vollen Recht würde dieses Stück den Beinamen 'tragisch' verdienen.
Das Concerto d-moll BWV 596 galt im letzten Jahrhundert als ein Werk von Wilhelm Friedemann Bach, da dieser Sohn Bachs mit einem Vermerk das Manuskript des Vaters für sich beansprucht hatte. Erst zu Anfang dieses Jahrhunderts wurde das Original entdeckt: das Concerto grosso op 3, Nr. 11 für zwei Violinen, Violoncello, Streichorchester und basso continuo von Antonio Vivaldi. Bach hatte in seiner Weimarer Zeit (1708-1717) das Konzert für Orgel übertragen; dies war damals neben dem bloßen Kopieren das übliche Verfahren, sich mit einem fremden Werk auseinanderzusetzen. Da uns heute der typische Klang des italienischen Barockorchesters wieder vertraut ist, kann Bachs Übertragung den Charakter einer Transkription nicht ganz verleugnen, doch lassen die schimmernden Mixturen der Orgel gut den typischen Streicherklang Vivaldis ahnen. Auffallend ist, wie Vivaldi die einzelnen Teile auch innerhalb eines Satzes blockartig voneinander absetzt (deutlich besonders im 1. Satz), etwas, was Bach in seinen eigenen Kompositionen vermeidet.
Präludium und Fuge e-moll BWV 548 entstand in Bachs Leipziger Zeit und zeigt die spezifischen Mermale des späten Stils von Bach: monumentale Anlage der Themen, Verschmelzung von völlig heterogenen Formen und eine große geistige Überlegenheit der Tradition gegenüber. Denn ist normalerweise das Präludium ein freies Vorspiel zur streng gebundenen Fuge, so kehrt hier Bach das Verhältnis um: die schwere Gebundenheit des Präludiums löst sich in der kühnsten und freiesten Fuge, die Bach je geschrieben hat.
Das Präludium folgt dem Aufbau des Concerto grosso: A (Tutti); B (Solo, neues Thema); A (Tutti); C (Solo, neues Thema); A (Tutti). Jeder Teil hat ein eigenes Thema, aber die Themen B und C sind alle aus dem Anfangsthema A entwickelt. Bach ist auch bestrebt, den Unterschied zwischen den einzelnen Teilen zu verwischen; so kommen die einzelnen Themen auch in den anderen Teilen vor, nur Thema A erscheint bloß im Teil A. Daher spielt in der vorliegenden Aufnahme die Organistin das Stück ohne Registerwechsel durch. So erzeugt dieses großartige Stück Musik beim Zuhörer das monumentale Bild eines sich ständig abmühenden Menschen.
Die Fuge ist dreiteilig mit einer vollständigen Reprise des Hauptteils, während der Mittelteil eine Toccata darstellt. Bach vereinigt hier somit die Fuge, das Concerto grosso, die Toccata und die Sonatenform zu einem Ganzen und gibt ihm erst noch den Charakter eines Finale. Das Fugenthema bildet gleichsam die Antwort zum Präludium: es kämpft sich durch eine chromatische Auf- und Abwärtsbewegung zur Dominante durch, um dann beruhigt zur Tonika zurückzukehren. Die thematische Figur des Mittelteils ist nichts anderes als die Synthese aus Thema B und C des Präludiums, womit Bach nun an das Präludium anknüpft. Das chromatische Abwärtssteigen dieser Figur entstammt dem Fugenthema und auch die folgenden Tonleitern sind eigentlich auskomponierte Oktavsprünge, also vom Oktavsprung im Fugenthema abgeleitet. So ist auch dieser improvisatorisch wirkende Mittelteil - nicht zuletzt durch das gelegentliche Wiederauftauchen des Fugenthemas - streng vom Hauptteil her bestimmt.
Die Triosonaten sind eigentlich Studienwerke für den fortgeschrittenen Organisten, da in diesen dreistimmigen Stücken beide Hände und die Füße unabhängig voneinander geführt werden müssen. Sie entstanden alle ebenfalls in Leipzig. Die Triosonate C-Dur BWV 529 ist formal die größte und ihrer Tonsprache nach die orgelmässigste dieser Sonaten. Alle drei Sätze haben wieder die Form des concerto grosso mit dem typischen Wechsel von Haupt- und Nebensatz. Im dritten Satz verwischt Bach wieder den Unterschied zwischen den beiden Teilen, indem das Hauptthema auch in den Seitensätzen erscheint. Da die Register der Orgel gut zu hören sind, sei hier die Registrierung mitgeteilt:

1. Satz:
- II Gedackt 8' Blockflöte 4' Gemshorn 2'
- I Spitzflöte 8' Octave 4'
- P Principal 8' Gedackt 8'

2. Satz:
- II Blockflöte 4' Tremulant
- I Rohrflöte 4'
- P Gedackt 8'

3. Satz:
- II Gedackt 8' Blockflöte 4' Gemshorn 2' Quinte 1 1/3'
- I Spitzflöte 8' Oktav 4'
- P Principal 8' Gedackt 8'

Die Choralbearbeitung "O Mensch, bewein' dein' Sünde gross" BWV 622 stammt aus dem Orgelbüchlein, das Bach noch in seiner Weimarer Zeit begonnen, aber nie zu Ende geführt hat. Wir begegnen hier der Kunst des kolorierten Chorals, die Bach ebenfalls von der norddeutschen Tradition übernommen hat. Die Kolorierung besteht darin, die Choralmelodie mit vielen Nebennoten zu verzieren; auch hier hat Bach diese Technik vergeistigt, indem seine Kolorierung sich zur zusammenhängenden Linie entwickelt, die schon fast die unendliche Melodie der Romantik vorwegnimmt. Die Choralmelodie wird vorgetragen mit Gedackt 8' Blockflöte 4' Nasard 2 2/3' und Tremulant. Als tiefgläubiger Protestant vergißt Bach auch den Text nicht:
Bei den Worten "dass er für uns geopfert würd" und "wohl an dem Kreuze lange" verzichtet er bewußt auf die Kolorierung, um so den zentralen Inhalt des christlichen Glaubens hervorzuheben. Im Schlußtakt über dem Wort "lange", der adagiosissimo zu spielen ist, läßt uns Bach mit einer Entrückung der Harmonie nach Ces-Dur einen Blick in den Himmel tun.
Die Passacaglia mit thema fugatum in c-moll BWV 582 gehört in die Köthener Zeit Bachs und zeigt in vollkommener Weise eine Vielheit in der Einheit. Eine Passacaglia ist eigentlich eine Variationenkette über einem bloß stützenden und daher ständig wiederholten Bassmotiv. Neu ist bei Bach, daß es am Anfang des Stückes zunächst allein als Thema auftritt, weil es das ganze folgende Stück in allen Teilen bestimmt. Das berühmt gewordene Thema zeigt eine wehmütige Trauer, die sich auf den höchsten Ton as zuspitzt und dann sich allmählich löst in Trost und Beruhigung. Dementsprechend kämpfen sich die ersten Variationen von der Trauer durch zur Zuversicht, wobei zum Zeichen des Triumphes - wider alle Regeln - das Bassthema im Sopran erscheint. Nach diesem ersten Höhepunkt setzt das Bassmotiv aus, wird aber in die Variationen hineingewoben, jedoch so, daß es immer weniger spürbar wird. Nach diesem Intermezzo meldet sich das Bassmotiv zurück, die Oberstimmen reagieren darauf mit Angst und Schrecken, schließlich mit Trotz, der sich immer mehr am Schmerz festbeißt. Die aufgestaute Energie des Schlusses kann sich nur in einer Fuge entladen, die ohne Pause gleich anschließt. Das Fugenthema umfaßt nur den ersten Teil des Bassmotivs, umgibt sich aber dafür ständig mit zwei Kontrapunkten, wobei der erste als Trotzmotiv, der zweite als Trostmotiv zu verstehen ist. Die Fuge besitzt dieselbe Entwicklung wie die Passacaglia: der erste Teil endet in einem zuversichtlichen Es-Dur, es folgt ein Intermezzo ohne Thema, bis sich dieses im Bass wieder zurückmeldet; die Stimmen verfallen dann ins Grübeln (über 20 Takte pausiert der Sopran!), reißen sich in einer aufsteigenden Figur empor, scheinen sich unter dem sieghaften Thema, das in der Sopranlage erscheint, zu beruhigen, versinken dann wieder in tiefe Verzweiflung (f-moll Teil), worauf nach einem Doppeltriller das Thema im Sopran den endgültigen Sieg ankündigt; alle Stimmen versuchen nun die Trauer abzuwischen, aber ein Aufschrei im neapolitanischen Sextakkord - genial unvorbereitet und doch auch wieder erwartet - bringt die ganze Bewegung zum Stehen. Die folgende Generalpause mit ihrer endgültigen Wendung nach C-Dur hat, wie Hermann Keller mit Recht bemerkt, in der ganzen Musikgeschichte nicht ihresgleichen! Der Schluß endet in einem auffälligen Adagio; er soll nicht nur als Sieg, sondern auch als Trost empfunden werden.

Dr. phil. Jörg Büchli


Geschichte der Orgel in der evangelischen Stadtkirche Grebenstein

Erbauer des ursprünglichen Orgelwerks war der Kasseler Hoforgelmacher Johann Wilhelm Dibelius. Er erhielt im Jahre 1731 den Auftrag, die neue Orgel für die Kirche in Grebenstein zum Preis von 300 Talern zu bauen. Die fast gleichzeitig aus seiner Hand entstehende Orgel für die Karlskirche in Kassel kostete zum Vergleich 265 Taler. Beide Instrumente hatten lediglich ein Manual und Pedal. Mit großer Wahrscheinlichkeit war ein zweites Manual in Grebenstein geplant. Bewußt wurde daher das neugeschaffene zweite Manualwerk - schwellbar - etwas zurückliegend hinter dem Gehäuse angeordnet.
Die beeindruckende Prospektfront mit Einteilung in Hauptwerk und Pedalwerk ist erhalten. Die überkommene Prospektgestaltung des Brustwerks ist eine Zutat aus dem frühen 19. Jahrhundert mit klassizistischen Stilelementen.
Die Forschung über Dibelius' Schaffen gestaltete sich sehr schwierig, da außer den beiden genannten Orgeln lediglich ein Positiv in Maden (Nordhessen) nachweisbar von ihm erbaut worden ist. Keines dieser Instrumente ist erhalten.
Fotos aus den Jahren vor 1908 sowie ein komplett erhaltener Wellenbrett-Aufriß auf einer Seitenfüllung gaben erste wertvolle Hinweise für Grebenstein.
Das Innenleben der Dibelius-Orgel war 1908 durch ein pneumatisches Orgelwerk ersetzt worden, wobei neben dem Gehäuse noch die besonders wertvollen, weil vergoldeten Prospektpfeifen wiederverwendet worden waren. Diese mußten als letztes klangliches Zeugnis aus Dibelius' Hand im 1. Weltkrieg abgegeben werden.

Michael Bosch

Orgel der evangelischen Stadtkirche in Grebenstein


Disposition

- Hauptwerk C-g'''
- Bordun 16'
- Principal 8'
- Spitzflöte 8'
- Octave 4'
- Rohrflöte 4'
- Octave 2'
- Mixtur IV-fach
- Trompete 8'

- Brustwerk C-g'''
- Gamba 8'
- Gedackt 8'
- Blockflöte 4'
- Nasard 2 2/3'
- Gemshorn 2'
- Terz 1 3/5'
- Quinte 1 1/3'
- Zimbel III-fach
- Oboe 8'

-Tremulant-
- Pedalwerk C-f'
- Subbaß 16'
- Principal 8'
- Gedackt 8'
- Octave 4'
- Posaune 16'

Koppeln: II/I, I/P, II/P, I4'/P

Erbauer der Orgel: Werner Bosch Orgelbau GmbH

Mana Usui Mana Usui begann im Alter von vier Jahren mit dem Klavierspiel. Sie studierte Musikwissenschaft, Orgelspiel und Klavier am Kunitachi College of Music, Tokyo. 1983-86 studierte sie Orgel bei Prof. Edgar Krapp an der Musikhochschule Frankfurt/Main. Dieses Studium schloß sie mit dem Organistendiplom ab.
Nach dem Studium erweiterte sie ihre Kenntnisse durch Meisterkurse bei den Professoren Tagliavini, Isoir, Darasse (†) und Radulescu.
Konzerttätigkeit als Solistin in Schweden, Schweiz, Frankreich, Finnland, Deutschland und Japan.
1995 erste CD-Aufnahme

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