Lothar Kannenberg - Durchboxen Ich lebe

Kannenberg In der Reihe Sonderveröffentlichungen hat der Opal Verlag Kassel sich bereit erklärt vorliegende autobiografischen Aufzeichnungen zu veröffentlichen.
Der Verlag hat die Aufzeichnungen von Lothar Kannenberg nicht geschönt und legt sie nun hiermit unverändert vor. So wie sich Lothar Kannenberg in vielen persönlichen Vorgesprächen mitgeteilt hat, so unzensiert, in Grammatik, Sprachduktus und assoziativem Mitteilen lesen sich auch seine Zeilen.
Der Opal Verlag dankt Frau Stadträtin Ilona Caroli für ihre großzügige und unbürokratische Unterstützung!
Die Journalistin Christina Hein wies uns auf das Thema DEESKALATION von GEWALT hin. Wir alle hoffen, dass das Projekt BOXCAMP in vielen Städten Nachahmer und Verbündete finden wird.

Veronica Kraneis



".... was ich schließlich am sichersten über Moral und menschliche Verpflichtung weiß, verdanke ich dem Sport..." (A. Camus)

Zu Lothar Kannenberg: Durchboxen Ich lebe

Ilona Caroli Manche Lebenswege lesen sich wie ein Krimi. Aber was im Krimi auf mehrere Personen aufgeteilt ist, ist bei Lothar Kannenberg in einer Person vereint: Der Weg zum Tod und der zum Leben, die böse Gestalt und der gute Held. Die Spannung ist deshalb nicht geringer, im Gegenteil, die Frage, wer siegen wird, läßt uns atemlos weiterlesen. Und zwischendurch schleicht sich die Erkenntnis ein, dass manche Siege immer wieder neu errungen werden müssen.
Schon die frühesten Erlebnisse von Lothar Kannenberg sind Gewalterfahrungen: der alkoholabhängige Vater, der ihn permanent entwertet, schlägt ihn vor allem dann, wenn er seine Liebe und Unterstützung gebraucht hätte. Er lernt schnell, dass er stark sein muss, um nicht unterzugehen. Beengte Wohnverhältnisse in einem "Asozialenviertel", körperlicher Missbrauch durch einen älteren Mann, hohe Erwartungen an ihn als einen Jungen, der älter aussieht als er ist, überfordern ihn. Er betäubt seine Angst schon sehr früh im Alkohol und in Gewalttätigkeiten, später auch in anderen harten Drogen. Sich sicher und stark zu fühlen heißt lange Zeit für ihn: jemanden besiegen zu können, mit allen Mitteln, auch mit brutalster körperlicher Gewalt. Ein Lebensweg also, mit dem wir in der Regel keine großen Hoffnungen mehr verbinden.
Und doch ziehen sich noch andere Erfahrungen durch sein Leben, Erfahrungen, die Lothar Kannenberg immer wieder an überraschender Stelle schildert und an denen wir als Leserinnen und Leser dankbar aufatmen: da ist die kurze sorglose Zeit im wunderschönen Haus seines Opas, die Tatsache, dass er noch Träume hat – er möchte Dekorateur werden, eine ganz und gar schöpferische gestalterische Tätigkeit – die Unterstützung durch seinen ersten Lehrmeister, der ihm vielleicht zum ersten Mal die Saat eines anderen Vaterbildes einpflanzt. Immer wieder trifft er gute "Lehrer", Therapeuten und Therapeutinnen, die an ihn glauben und ihn unterstützen, wo andere schon längst aufgegeben hätten. Und er findet das, was seine ungeheure Kraft und seinen Überlebenswillen in Bahnen voller Regeln und Fairness lenkt: das Boxen.
Wenn Lothar Kannenberg schonungslos gegenüber sich selbst seine persönlichen Siege und Niederlagen schildert, fiebern wir von Seite zu Seite, welche Erfahrungen in ihm wohl siegen werden. Und wir bekommen eine Ahnung davon, dass es auch hier kein eindeutiges Entweder-oder gibt: viele Siege sind selbstzerstörerische Niederlagen. Dass Lothar Kannenberg das spürte, war seine große Chance. Aber er musste erst völlig zusammenbrechen, um diese Chance zu ergreifen.
Lothar Kannenberg kam zu einem Zeitpunkt zu uns, als er sich bereits entschieden hatte, für das Leben entschieden hatte, wie er sagt. Es erwies sich als großer Glücksgriff, ihn als Ansprechpartner für Jugendliche zu engagieren. Denn auch die Situation in der hinteren Nordstadt schien zu diesem Zeitpunkt hoffnungslos, was die Betreuung von Jugendlichen anging. Vandalismus, hohe Kriminalität, der Jugendtreff wurde wegen Gewaltandrohung gegen die Betreuer geschlossen: wir waren ratlos, auf den herkömmlichen sozialpädagogischen Wegen waren diese Jugendlichen nicht mehr zu treffen.
Lothar Kannenberg sprach ihre Sprache und vor allem zeigte er sehr authentisch mit seinem Lebensweg, dass er die Erfahrungen von Todes-Angst, Wut, Auflehnung und unerwiderten Bedürfnissen mit Jugendlichen teilte, dass sie in Gewalt und Selbstzerstörung enden können, aber auch, dass es Wege und den starken Willen zu ihrer Überwindung gibt.
Er bot ihnen im Boxtraining die Möglichkeit an, Kraft gegen andere einzusetzen, ohne sie zu demütigen. Er unterwarf Gewaltbereitschaft den Regeln des sportlichen fair play. Er forderte sie körperlich heraus, trainierte mit ihnen Ausdauer und Durchhaltevermögen. Er setzte sich immer wieder für einen festen Anlaufpunkt im Stadtteil ein. Mit Unterstützung von Sponsoren und dem ehrenamtlichen Engagement vieler Jugendlicher und deren Eltern entstand schließlich das Boxcamp in der Stadtteiletage, einer der wichtigsten Anlaufstellen für Jugendliche in der Nordstadt.
Dass es sich so erfolgreich in all die anderen unterstützenden und fördernden Maßnahmen unseres Nordstadt-Projektes fügt, verdanken wir vor allem Lothar Kannenberg.
Kannenberg Die umfassenden Siege der Jugendlichen sprechen für sich: Im Jahr 2000 holten sie den Pokal für den ersten Platz im City-Lauf und 2001 gewannen sie drei Titel beim Hessenpokal der Amateurboxer. Dass in diesem Zeitraum die Kriminalität im Stadtteil bereits um 30% zurückging, zeigt einen anderen Erfolg des Boxcamps. Und dass das Engagement von Lothar Kannenberg und den Jugendlichen über den Stadtteil hinaus honoriert wurde und zunehmend Anerkennung erfährt, zeigen zwei Ereignisse: die Henry Maske-Stiftung ermöglichte mit einer großzügigen Spende die Einrichtung des Trainingsraums in der Stadtteiletage. Im letzten Jahr schließlich wurden sie mit dem Dierichspreis ausgezeichnet, eine Auszeichnung der Paul-Dierichs-Stiftung für Menschen, die sich uneigennützig für das Wohl ihrer Mitmenschen einsetzen.
Es ist ein langer und harter Kampf, bis man seinem Gegner die Hand geben kann. Im Sport ist das möglich. Im Leben kann es möglich werden. Lothar Kannenberg hat das gezeigt. In diesem Sinne wünsche ich ihm und den Jugendlichen noch viele Siege.

Ilona Caroli

Wer mehr über Lothar Kannenberg und sein Boxcamp erfahren möchte, kann sich auf dieser Seite darüber informieren:
www.lothar-kannenberg.de

Zurück zur Bücher-Liste