Gregor Simon - Die Silbermann-Orgeln in Dresden und in Villingen

Die Silbermann-Orgeln Die Silbermann-Orgeln in Dresden und in Villingen
Gregor Simon

Track-Liste:

Johann Sebastian Bach (1685-1750)
1. Toccata und anhören
2. Fuge d-Moll, BWV 565 anhören
Dresden

François Couperin (1668-1733)
Kyrie aus der "Messe solemnelle a l'usage des paroisses"
3. Plein chant du premier Kyrie, en taille anhören
4. Couplet: Fugue sur les jeux d'anches anhören
5. Couplet: Récit de Cromome anhören
6. Couplet: Dialogue sur la Trompette et le Cromome anhören
7. Dernier Kyrie, Plein chant anhören
Dresden

Johann Sebastian Bach
8. "Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ" BWV 649 anhören
Dresden

Louis-Nicolas Clérambault (1676-1748)
Suite du deuxieme Ton
9. Plein Jeu anhören
10. Duo anhören
11. Trio anhören
12. Basse de Cromome anhören
13. Flûtes anhören
14. Récit de Nazard anhören
15. Caprice sur les Grand Jeux anhören
Dresden

Arnolt Schlick (ca. 1455-1525)
16. Da pacem ("Gib Frieden"): 3. cantus firmus im Baß anhören
Villingen

François Couperin
Kyrie aus der "Messe à l'usage des couvents"
17. Premier Kyrie - Plein Jeu anhören
18. Couplet - Fugue sur la Trompette anhören
19. Christe - Récit de Cromome anhören
20. Couplet Kyrie - Trio a deux dessus de Cromome et la Basse de Tierce anhören
21. Couplet Kyrie - Dialogue sur la Trompette du Grand Clavier et sur la Montre, le Bourdon et le Nazard du Positif anhören
Villingen

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
22. Adagio Es-Dur aus der Klaviersonate B-Dur, KV 570 anhören
Villingen

Johann Sebastian Bach
23. "Nun komm, der Heiden Heiland", BWV 661 anhören
Villingen


Onkel Gottfried und Neffe Johann Andreas Silbermann

Die Orgeln aus den Werkstätten der Familie Silbermann im Elsaß und in Sachsen werden zu den Spitzenleistungen der abendländischen Orgelbaugeschichte gezählt.

Andreas Silbermann (1678 - 1734) erlernte in seiner Heimat zunächst das Tischlerhandwerk und ging um 1700 nach Straßburg, dem Mittelpunkt der französisch-elsässischen Orgelkultur. Hier trat er in die Orgelbauwerkstatt Friedrich Rings ein und machte sich 1701 selbständig.

Gottfried Silbermann (1683 - 1753), der jüngere Bruder von Andreas, absolvierte zunächst eine Tischlerlehre, bevor er 1702 seinem Bruder nach Straßburg folgte, wo er bei ihm den Orgelbau erlernte und zusammen mit ihm vier Orgeln erbaute. Von 1704 bis 1706 leitete Gottfried die Werkstatt, als sich Andreas in Paris aufhielt. 1710 gründete er seine eigene Werkstatt, welche er ein Jahr später nach Freiberg in Sachsen verlegte. 1714 stellte er die große Orgel im Freiberger Dom St. Marien fertig. Er baute 46 Orgeln in Sachsen und Thüringen.

Johann Andreas Silbermann (1712 - 1783) lernte den Orgelbau bei seinem Vater Andreas Silbermann. Nach dessen Tod 1734 übernahm er die Werkstatt und baute Orgeln unter anderem in Neubreisach, Marbach und Straßburg. Eine Studienreise führte ihn 1741 nach Sachsen und Berlin, wo er die Orgeln seines Onkels Gottfried und die Instrumente Johann Wagners kennen lernte. Johann Andreas Silbermann werden insgesamt 54 Orgeln im Elsaß, in Baden, im Schwarzwald und in der Schweiz zugeschrieben; keine der von ihm gebauten Orgeln existiert noch im Originalzustand.


Die Orgel von Gottfried Silbermann in der Kathedrale bzw. Hofkirche zu Dresden

Ende Juli 1750 schloss Gottfried Silbermann mit dem Dresdner Hof den Bauvertrag. Wegen schwerer Krankheit beauftragte er seinen Schüler Zacharias Hildebrandt mit der Leitung der Arbeiten. Am 4. August 1753 starb Silbermann in Dresden. Die Nachfolge als Vertragspartner des Hofes übernahm Silbermanns Neffe und Universalerbe Johann Daniel.
Während die übrigen Mitarbeiter den Bau fortsetzten, beendeten Hildebrandt und sein Sohn im Juni 1754 ihre Tätigkeit in der Hofkirche und begannen einen Orgelbau in Dresden-Neustadt.

Erst am 2. Februar 1755 wurde die Hofkirchenorgel geweiht. Wer sie intonierte, ist unbekannt. Umfangreiche klangliche und technische Veränderungen erfolgten 1937. 1944 wurde der Großteil der Orgel ausgelagert. Gehäuse, Gebläse und weitere Teile verbrannten 1945 in der Kirche. Zwischen 1961 und 1971 fand der Wiederaufbau durch die Firma Gebrüder Jehmlich (Dresden) statt. Eine Restaurierung mit klanglicher und technischer Annäherung an den Originalzustand übernahmen 2001 - 2002 die Werkstätten Jehmlich Orgelbau Dresden und Kristian Wegscheider (Dresden).

Vom klassischen französischen Orgelbau übernahm Gottfried Silbermann die reiche Besetzung mit Aliquoten und Kornetten, zunächst auch die Bauweise der Zungen, die er insgesamt sehr sparsam disponierte, darunter im Oberwerk das in Frankreich unbekannte Manualfagott 16’. Dagegen baute er keine Rückpositive und disponierte an Labialen außer Prinzipalen und Rohrgedackten auch Quintadena und Spitzflöt sowie die 1’-Lage, während die Palette "lieblicher" Register in 8’-Lage im Vergleich zu seinen mitteldeutschen Zeitgenossen sehr eingeschränkt blieb.
Hauptwerke charakterisiert Gottfried Silbermann als "gravitätisch", Nebenwerke als "delicat und lieblich", oder "scharff und penetrant", Pedalwerke als "starck und durchdringend".


Die Orgel von Johann Andreas Silbermann in der Benediktinerkirche zu Villingen

Der Bau einer neuen Orgel durch den Straßburger Orgelbauer Johann Andreas Silbermann für die Reichsabteikirche St. Georgen der Villinger Benediktiner war nicht nur für die Orgelgeschichte der damals in vorderösterreichischen Landen gelegenen Stadt Villingen ein bedeutender Einschnitt, sondern für den gesamten damaligen südwestdeutschen Raum. Villingen wurde damit zur Schnittstelle zwischen der französisch geprägten Orgelbautradition links des Rheins und dem süddeutschen Orgelbau, der im 18. Jahrhundert – im weitgehend habsburgischen Einflussbereich – ein Gebiet von Mainz bis Prag, Wien und Ungarn, sowie vom Main bis an den italienischen Kulturbereich umfasste.

Auf Initiative von Prior Coelestin Wahl kam es am 14. Januar 1751 zum Vertragsabschluss zwischen Silbermann und dem Abt des Villinger Klosters, Hieronymus Schuh. Das als erstes auf rechtsrheinischem Boden von Johann Andreas Silbermann gebaute Instrument übernahm mit seiner Fertigstellung im Mai 1752 eine Art Schlüsselstellung im südwestdeutschen Orgelbau. Elf weitere Aufträge für Orgel-Neubauten konnte Silbermann nämlich in den Folgejahren verbuchen, darunter seine größte Orgel für das Benediktinerkloster in St. Blasien.
Nur wenig mehr als 5 Jahrzehnte hatten die Mönche in Villingen Freude an ihrer kostbaren und beeindruckenden Silbermann-Orgel. Nach der infolge der Säkularisation erzwungenen Auflösung des Konvents musste sie auf Weisung des Großherzogs Karl Friedrich von Baden abgebrochen und für die neu erbaute protestantische Stadtkirche in seine Residenz Karlsruhe geschafft werden. Dort fiel sie im Laufe der Jahre den vielfältigen Umbauten und Veränderungen entsprechend den jeweiligen Zeitvorstellungen zum Opfer. Die Kirche fiel bei einem Bombenangriff auf Karlsruhe 1944 in Schutt und Asche.

Mit der totalen Rekonstruktion der verloren gegangenen Orgel durch den elsässischen Orgelbauer Gaston Kern ist das Silbermannsche Instrument 250 Jahre nach dem Bau des Originals wieder an seinen alten Standort in der Villinger Benediktinerkirche zurückgekehrt. Die feierliche Orgelweihe fand am 21. September 2002 statt.


Die beiden Orgeln im Vergleich

In die Augen fällt die gemeinsame Bauzeit (1750 - 55 bzw. 1751 - 52) und dasselbe Jahr 2002 des Abschlusses ihrer Restaurierung (Dresden) bzw. Rekonstruktion (Villingen).

Hört man beide Instrumente, wie auf vorliegender CD möglich, nacheinander, so fällt auf, dass es sich – im wahrsten Sinn des Wortes – tatsächlich um dieselbe Familie oder doch eine enge Verwandtschaft handelt. Ein klarer, direkter und obertonreicher Klang, geprägt von der französisch-elsässischen Orgelkultur.

Die Gottfried Silbermannsche Orgel in Dresden klingt aber kräftiger und voller, gravitätischer, herber und vornehmer, die Johann Andreas Silbermannsche in Villingen dagegen eher weich und schlank, leicht, lieblich und galant. Das ist nicht nur verbunden mit dem süddeutschen Orgeltyp, es passt auch zum nachbarocken "galanten Stil", dem sich der jüngere Neffe vielleicht näher fühlte als der ältere Onkel. Zusätzlich ist das Dresdner Instrument aber auch schon von daher kräftiger, als es einen wesentlich größeren Raum zu füllen hat.

Nichtsdestoweniger mangelt es der Orgel in Villingen nicht an Glanz und Pracht, ebensowenig wie der Hofkirchenorgel in Dresden an Anmut (z. B. mit dem Register "Unda maris", d. h. "Meereswoge" in Clérambaults "Flûtes")


Das Programm

Es sind zunächst 4 Werke auf der Silbermann-Orgel in Dresden, dann 4 Werke auf derjenigen in Villingen zu hören.

Das Verhältnis der Spiellänge Dresden:Villingen ist 3:2 und entspricht damit in etwa dem "Goldenen Schnitt", ein für die Kunst generell und gerade in der Barockzeit bedeutendes Verhältnismaß.

Gleichzeitig ergibt die Folge der Werke eine Symmetrie:
1. Pathetische Werke von Bach bilden den Rahmen.
2. Der eröffnende Bach ist ebenso lang wie der abschlie?ende Mozart und Bach zusammen.
3. Einen weiter nach innen gelegenen Rahmen bilden die beiden (wieder gleich langen) Kyrie-Suiten von Couperin.
4. Im Zentrum steht Clérambaults Suite.
5. Vor und nach dieser hören wir je ein sehr kurzes Stück von Bach bzw. Schlick.

Während die "Hauptkomponisten" des Programms, Bach, Couperin und Clérambault Zeitgenossen sind, gibt es mit Schlick einen "Ausreißer" in die Vergangenheit, mit Mozart einen in die Zukunft.

Im ersten Teil stehen drei Werke in Moll, eines in Dur, im zweiten Teil ist es umgekehrt.

Die Tonartenfolge weist ebenfalls eine gewisse Schlüssigkeit auf:
d – d – B – g / G – G – Es – g (mit G-Dur-Schluß)
Zur Affinität von Musik und Instrument:

Die Werke Johann Sebastian Bachs sind zwar wie die vielleicht keines anderen Komponisten von solcher geistigen Größe und kompositorischen Absolutheit, dass sie recht unabhängig von der Klanglichkeit sind – mit andere Worten: Bach lässt einen zwar begeistern und erschauern, ob er nun auf diesem oder jenem Instrument gespielt wird. Dennoch kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass eine Orgel wie von Gottfried Silbermann die Sprache Bachs besonders gut spricht. Ist es nicht ein ähnliches "Es waltet", was die Musik des einen und die Klanglichkeit des anderen verbindet? Nicht zufällig standen Bach und Gottfried Silbermann ja auch in engem Kontakt.

Daß aber auch die Kompositionen eines Couperin oder Clérambault wie angegossen auf Silbermannsche Orgeln passen, mag daran liegen, dass diese (wie auch noch der "sächsische" Gottfried) stark vom französischen Orgelbau inspiriert sind.

Erstaunen mag eine gewisse stilistische Verwandtschaft zwischen den genannten französischen Komponisten und Schlick, der doch 200 Jahre älter und überdies Deutscher ist. So passt auch seine Musik wie innerlich verwandt auf Silbermann!

Schließlich: Dem Adagio von Mozart – eigentlich ein Klavierstück – kommen die lieblichen Register der Silbermannorgel in Villingen hervorragend entgegen!


Dank

Ein besonderer Dank gilt für ihr Einverständnis zur Produktion dieser CD Herrn Domorganist Thomas Lennartz (Dresden) sowie Herrn Bezirkskantor Christian Schmitt und dem Vorstand der Stiftung "Johann-Andreas-Silbermann-Orgel", Herrn Ulrich Kolberg (Villingen). Dank gebührt außerdem für die Freigabe der Fotos Herrn Udo Pellmann (Dresden) und Herrn Christian Schmitt (Villingen).

Gregor Simon studierte Kirchenmusik (A) in Saarbrücken und München sowie Musiktheorie in Detmold. Nach dem Studium war er einige Jahre Dekanatskantor und Kirchenmusiker in Stuttgart.
2002 bis 2012 war er Kirchenmusiker in Laupheim (bei Ulm) und Dekanatskantor der Dekanatsregion Ochsenhausen-Illertal. Seit 2013 ist er freiberuflicher Organist.
Seine Kompositionen wurden mehrfach ausgezeichnet.
2008 spielte Gregor Simon im Opal Verlag Kassel eine CD ein mit Orgelwerken von Bach, Couperin, Franck, Widor, Reger, Simon sowie Improvisationen.
Berühmte Orgeln sind darauf zu hören wie die Gabler-Orgel in Weingarten, die Walcker-Orgel in Ulm oder die Silbermann-Orgel in Dresden.

Mehr Infos über Gregor Simon


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